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die quadratur des buches
wolfgang henne hat einen versuch gewagt, gutenberg sein gewissen zurückzugeben, ein kiloschwerer haufen ungeordneter, ehemals beweglicher bleilettern ruht in dem, einer krebsschale gleichend, leeren gehäuse eines fernsehers. zur bekämpfung der melancholie dem ganzen hinzugefügt sind, zeichnerische und druckgrafische elegien einer reflexion über das kulturelle phänomen: buch. 5 thesen. warum, wozu, wer liest was. und wozu schreibt wer, welche bücher, bzw. beschreibt papier überhaupt, die biblische methapher des turmbaues zu babel ist längst in den gezeichneten industriekultivierten ländern der westlichen hemisphare wahrheit geworden, stanislav lern, der polnische zynische utopist, benennt in seinen phantastischen romanen unser zeitalter als das zeitalter des feuilletons, eines seiner letzteren werke ist bezeichnender weise mit „der flop“ betitelt, die schriftlichen entäußerungen in büchern und den anderen printmedien lassen sich endloß fortsetzen, die frage des sinns der botschaft verliert sich in der übermittlung der botschaft selbst, wie kann kultur eine positive fortsetzung erfahren, wenn „der sinn der botschaft (ist) der übermittler“ dem) ist, bzw. es bis zu der beängstigenden behauptung des amerikanischen medienkritikers marshal mcluhan gekommen ist, daß der sinn der elektronischen telekommunikation die kanäle selber wären.
who is who. die papierflut der täglichen zeitungsproduktion gibt auf diese frage keine antwort. wir verwechseln unseren standort, so wir überhaupt noch festen boden unter den fußen haben, um einen kulturellen standort, also vorn und hinten, oben und unten, gestern und morgen bestimmen zu können, eine arche noah mit der die zeit der springflut zu überstehen wäre und die uns zurück brächte in gesichertes, bereinigtes terrain, ist nicht mehr zu erwarten, auch der sinn dieses artikels bzw. das kunstobjekt, dem sich dieser artikel verpflichtet sieht, ist von vornherein in frage zu stellen, die kulturelle aufgäbe, der menschlichen emanzipation von den entfremdungen der kapitalistischen produktionsweise, gerät zu einem untergang in einer springflut der schriftseichen, die nichts mehr bezeichnen außer sich selbst, alle dimensionen werden durch quantitäten unermeßlichen ausmaßes gesprengt, ausdruck einer nicht mehr verwaltbaren, beherrschbaren weit, die zeichen der kunst, in ihren heutigen färben gezeichnet von postmodernistischen eklektizismus und marktschreierischen eulenspiegeleien, legen von der beängstigenden sachlage lediglich ein beredtes zeugnis ab. ernsthaftere produzenten von kunst, die einer retrospektiven sehweise in die analen der moderne moralisch verpflichtet sind, und die überhaupt bereit sind, grundsätzliche fragen einer kulturellen alternative zu einer globalen konsumtionsfreiheit, unter amerikanischer, japanischer oder europäischer flagge, aufzuwerfen, sind für die einzigen beweger von geschichte, die masse derer, die den produktionsmitteln am engsten verbunden ist, nicht mehr verständlich, da sich die spräche, die kommunikation, verwirrt hat. die betroffenen können ihre eigenen probleme nicht mehr sehen geschweige denn erkennen, die, die sie sehen und erkennen, haben keine handlungsmöglichkeit sie zu verändern, geschichte hat ihren ausgang gefunden, der zufall, die spontanität regiert die struktur, ernsthaftes spiel mit der struktur des zufalls, der einsatz der zeitlichen struktur des prozesses und die collage, sind somit zeitgemäße strukturelle produktionsweisen von kunst. mit dem buchobjekt wolfgang hennes erwirbt das buch und schriftmuseum der deutschen bücherei leipzig ein stück, künstlerischer arbeit der bewahrung, wie es eine grundaufgabe der museen ja auch ist, zu bewahren, in sich leistet sich die institution bücherei aber damit eine, in einem künstlerischen objekt gestellte, strukturelle -frage über sich selbst, über ihren sinn in einer weit, die durch ungenauere anhäufungen von quantitäten derterminiert wird, oder wie einer der bedeutendsten komponisten unseres zeitalters, john cage, der von vielen nicht dafür gehalten wird, eben wegen der struktur seiner arbeiten, bemerkt, „ich will damit sagen, worauf es ankommt, das ist die fragen zufinden, die richtigen fragen zu stellen, und nicht die auswahl von antworten. und das ist deshalb so, weil wir heute in einer weit leben, die durch ungeheuere quantitäten bestimmt ist. wir haben ja schon alles, eine menge antworten, eine menge möglichkeiten, eine menge kulturen sogar…“ wolfgang henne ist in dieser weit ein spieler, jemand der wie cage musik (also kunst) als prozeß in gang setzt, ohne eine determination des endergebnisse vorzunehmen, was beherrscht wird, oder besser versucht wird, ist ein prozeß der produktion von kunst, dieses ohne vorherbestimmung und ohne kontrolle, außer einer ästhetischen der form des produktes. hierin ist der unterschied zu einer vorhandenen struktur des vorherbestimmten utilitarismus der industriellen massenproduktion zu suchen, diese bietet allerdings in sich, positiv gesehen, ein unendliches netzwerk der neuverteilung der werte, die dialektik versagt ihren dienst, wir stehen einer quadratur des buches, seines sinns als kommunikationsmittel gegenüber.
der produzent dieser frage im kunstobjekt wolfgang henne, ist nicht unvermittelt zu dieser form einer auseinandersetzung mit dem problem buch gekommen, zuerst sammelte er und verteilte aus beruflicher verpflichtung bücher, als buchhändler mit dieser profession vertraut, danach studierte er an einer neoromantischen lehrstätte das gewerbe der künstlerischen produktion von büchern, der leipziger hochschule für grafik und buchkunst. seit dieser zeit produziert er selbst kleinode an stundenbüchern einer verflossenen ästhetik. zeitweise gab er monatlich ein quartheft eines verweilens im buchkünstlerischen ornament heraus, versehen mit wolfgang hennes teilweise skurilem selbstwitz und humor, über die nicht abzuändernde äußere realität, sind diese bücher sammelstücke für den geheimbund der bibliophilen geworden, in diesem sinn ist sein hier zu besprechendes buchobjekt ein abschluß der beschäftigung mit dem thema oder zumindest eine erhebliche zäsur. denn kann man danach noch kleinode einer vergangenen buchkunstepoche neu auflegen? wir werden sehen, wohin der weg des buches, jenes gegenstandes, dessen genuß ruhe und muße voraussetzt und hierin die möglichkeit zur erinnerung beinhaltet, sich hinwendet, verbunden damit wird auch der weg der kunst allgemein und somit der allgemeinen kultur, die dieser kunst zugrunde liegt, sein, „ich weiß nicht, woher ich komme, wo ich bin, wohin ich gehe“(h.d.husch als friedrich der II.). die deutsche bücherei ist mit ihrem auftrag an wolfgang henne einer frage näher getreten, zu deren beantwortung sie selbst beizutragen haben wird, ich wünschte, in ihrer eingangshalle würde die skulptur anselm kiefers „zweistromland“ eine heimstatt finden, ein beängstigendes monument. und grabmal der kultur des buches.
p.l., leipzig, juni 1990